Gisela Heidenreich
Veröffentlicht am 4. Juli 2016Veranstaltungen
Erschütternde Ausführungen zur Aufarbeitung des Lebensborns in den Nürnberger Prozessen
Gisela Heidenreich, ein Lebensbornkind, besuchte am 01.07.2016 zum wiederholten Mal das Franz- Marc-Gymnasium und hielt vor 120 Schülern der Jahrgangsstufe Q 11 einen Vortrag, ergänzt durch Lesungen aus Akten und ihren Büchern, vor allem „Sieben Jahre Ewigkeit“ Anschließend stellte sie sich den Fragen der Schüler. Der inhaltliche Schwerpunkt war diesmal die Aufarbeitung von in der NS-Zeit begangenen Verbrechen durch die Nürnberger Prozesse, insbesondere am Beispiel ihrer Mutter Emilie Edelmann. Nach deren Tod hatte Frau Heidenreich dazu wichtige Dokumente in einem Koffer gefunden. Ihre Mutter war Mitarbeiterin der Einrichtung Lebensborn in Steinhöring und wurde 1947 für ein Jahr in Nürnberg inhaftiert, um vor dem alliierten Militärtribunal als Zeugin auszusagen und um ihre Beteiligung an „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ (Anklagepunkt) zu klären.
Die Autorin führt zunächst aus, dass der Lebensborn in erster Linie nicht, wie behauptet wurde, eine „karitative Einrichtung“ zur Betreuung unehelicher Kinder war, um Abtreibungen zu reduzieren und dem Führer damit mehr Soldaten zu verschaffen. Denn die Hauptaufgabe war die Verschleppung und Eindeutschung mittel- und osteuropäischer Kinder aus den von Hitler besetzten Gebieten, die zum Teil ihren Eltern „geraubt“ wurden. Nach einer Klärung ihrer „Gutrassigkeit“ wurden ihnen deutsche Namen gegeben und die Geburtsorte und -tage geändert. Ein besonders erschütterndes Beispiel ist das Schicksal von Kindern aus Lidice in Tschechien, deren Eltern bei einem Strafmassaker Heydrichs getötet wurden und der Ort dem Erdboden gleichgemacht worden war. Von den insgesamt 98 Kindern wurden 13 ins Haus Hochland verbracht, der Rest in KZs ermordet. Viele Lebensborn-Kinder sind heute noch auf der Suche nach ihrer wirklichen Identität.
Frau Heidenreich beschreibt, wie sich die Beschuldigten bei den Nürnberger Prozessen miteinander absprachen und ihre eidesstattlichen Aussagen mehrfach änderten und gegenseitig anpassten, damit ihnen keine Schuld zugewiesen werden konnte. Hierbei hatten sie Hilfe, wie man an korrigierten Entwürfen, die die Autorin im Nachlass ihrer Mutter gefunden hatte und den Schülern zeigte, sehen kann. Vielfach konnten sich die Angeklagten auch angeblich nicht erinnern und /oder hatten nur Anweisungen Heinrich Himmlers ausgeführt. Dies führte zu einer Stabilisierung des Mythos vom Lebensborn als einer „Wohlfahrts-Einrichtung“. So erhielten die Hauptakteure, der Geschäftsführer des Lebensborns, Max Sollmann, die stellvertretende Abteilungsleiterin Inge Viermitz, der ärztliche Leiter des Hauses Hochland, Dr. Gregor Ebner, und Emilie Edelmann nur geringe Strafen oder wurden freigesprochen. Danach lebten sie unbehelligt weiter. Unerklärlicherweise erfolgte diese glimpfliche Beurteilung aber nur aufgrund der Zeugenaussagen, und nicht basierend auf den damals dem Gericht definitiv vorliegenden Akten, die die Schuld unzweifelhaft dokumentiert hätten.
Im Saal herrschte konzentrierte Stille. Die Schüler waren tiefbeeindruckt von den Ausführungen der Autorin, aber auch davon, dass sie in der Lage ist, mit Offenheit in sehr persönlicher Form über ihr Leben und das ihrer Mutter zu sprechen.
Dr. Elfriede Jung-Strauß
Über den Vortrag berichtet am 12.07.2016 der Münchner Merkur:



